So schön waren die letzten Tage – nochmals warm und sonnig. Nochmals konnte ich Himbeeren, Erdbeeren und Tomaten ernten – nicht mehr so viele, nur wenige, aber die dafür mit intensivem Geschmack. Aber die Natur braucht auch das was jetzt kommt – den Regen und die kalte Jahreszeit, den Rückzug um Kraft zu sammeln für das nächste Frühjahr. Das Wetter bzw. Klima ermöglicht nur im Wechsel all seiner Erscheinungsformen, dass etwas wächst und gedeiht. Nur Sonne ginge nicht, nur Regen auch nicht. Nur im Zusammenspiel und im Wechsel funktioniert alles. Yin und Yang eben – polare Erscheinungsformen des gleichen Phänomens – hier am Beispiel des Wetters/Klimas.

Wir Menschen erleben und erkennen unser ganzes Dasein über die Unterscheidung und Differenzierung dieser Polaritäten: Wärme und Kälte, Aktivität und Passivität, Tag und Nacht, Licht und Finsternis, Bewegung und Ruhe, sonnige aber auch trübe Tage – materiell wie gefühlt. Wir fühlen Erfolge und Misserfolge, lernen sympathische und unsympathische Menschen kennen, erleben Freude aber auch Trauer, etc. Die Erkenntnis, dass alles was existiert zwei Aspekte hat, führte die alten Chinesen zur Yin-Yang-Theorie: ein Erklärungsmodell für die ganze Welt, für Mikro- und Makrokosmos, für alle Bestandteile des Universums. Alles Existierende kann bezogen auf seine Eigenschaften dem Yin oder Yang-Aspekt zugeordnet werden.

Aber trotz der Unterscheidung, dieser auf den ersten Blick scheinbaren Gegensätzlichkeit, sind alle Erscheinungsformen nur zwei Seiten einer Medaille bzw. zwei Aspekte des gleichen Phänomens: beide werden benötigt, beide bedingen sich und gehen ineinander über. In der tiefsten Nacht liegt schon der Anfang des kommenden Tages, im tiefsten Winter liegt bereits der Anfang der nächsten wärmeren Periode – Frühjahr und Sommer etc.

Nur mit beiden Aspekten, dargestellt mit den beiden Hälften des Yin-Yang-Zeichens  – i.d.R. eine hell, eine dunkel –  ergibt sich ein Kreis – ein Symbol für Ganzheit und Einheit (sprichwörtlich „eine runde Sache“) und Stabilität. Es sind also keine „absoluten Gegensätze“, sondern vielmehr komplementäre Pole, zwischen denen ein natürliches Spannungsverhältnis besteht. Wo Spannung besteht, entsteht Bewegung, um einen Ausgleich zu erreichen (wie bei Strom). Stück für Stück und fließend geht dies vor sich und nie endend, da im Maximum des einen, schon wieder der Anfang des anderen liegt. Wie eine nie endende Welle kann dieser beständige Wandel dargestellt werden – und auch diese findet sich im Yin-Yang-Zeichen: die trennende und gleichzeitig verbindende (wellenförmige) Linie zwischen den Polaritäten.

Wir neigen dazu, zu bewerten und auch hierbei in extremen Gegensätzen zu denken oder gar in ihnen zu verhaften: oft sehen wir nur „gut“ oder nur „schlecht“ und manchmal können wir uns davon nicht mehr oder nur sehr schwer lösen. Wenn wir die Yin-Yang-Theorie betrachten und als Erklärungsmodell akzeptieren können, bedeutet dies aber auch: alles hat seine Daseinsberechtigung, alles wird gebraucht, nichts ist absolut gut oder schlecht. Ob mir das paßt oder nicht, ob es mir gefällt oder nicht, auch wenn ich andere Entwicklungen, Werte, Einstellungen wünsche oder habe – auch das andere darf sein. Und erst die polaren (gegensätzlichen) Erscheinungsformen ermöglichen Veränderungen, Wandlungen – damit bleibt nichts absolut, nichts ist unveränderlich.

So betrachtet, benötigen wir die verschiedenen Polaritäten zwar zur Orientierung (zeitlich, örtlich, im sozialen Umfeld etc.), sie taugen aber nicht als absolute Bewertungskriterien, weder für das eigene noch für das Leben anderer. Kann ich auch diese Sichtweise für mich akzeptieren, können persönliche Erlebnisse und Erfahrungswelten neu bewertet werden. Aber selbst danach – mit einem dann wohlwollenden Blick auf alle Erscheinungsformen – kann und muss jeder für sich entscheiden, was er für sich selbst adaptieren will, wohin er will, was er in seinem persönlichen Umfeld haben will …..oder eben auch nicht …. was und wie er etwas tut und mit „den und dem anderen“ umgeht. Und dann für sich selbst ohne die Dinge erzwingen zu wollen ……geschehen lassen…. fließen lassen….. entspannt und locker nehmen, was kommt und das Beste daraus machen – und auch in schwierigen Zeiten darauf vertrauen, dass nach einem Ab auch wieder ein Auf kommen wird; dass jede Entwicklung in unserem Leben, sei sie auch noch so schmerzhaft oder ungelegen, etwas Positives und somit Chancen, in sich trägt – Yin und Yang eben.

An diesem Punkt, denke ich heute wieder einmal an Meister Yang Jian Chao, mit dem ich in 2016 in China über vieles gesprochen, diskutiert und philosophiert habe. Für die persönliche Entscheidung zu „wie ich etwas tue“ und „wie ich mit dem und den anderen umgehe“, will ich für heute hier seine Botschaft als Abschluss stehen lassen:

„Tust Du Gutes, kommt Gutes zu Dir zurück. Tust Du Schlechtes, kommt auch Schlechtes zu Dir zurück. Alles was Du gibst, kommt zurück zu Dir – vielleicht nicht sofort, aber irgendwann.“