Gestern Abend sind wir spät in Yerevan angekommen. Unser „Hotel Central“ liegt wirklich zentral in der Stadtmitte, nur wenige Minuten zu Fuß zu den wichtigen Plätzen und mit vielen großen wie kleinen Restaurants rundherum. Bei unserer Ankunft steht Auto an Auto, der Bus findet kaum einen Platz zum Anhalten und Gepäck ausladen. Die Restaurants sind gut besucht, Jung wie Alt scheint den Abend bei Essen und Trinken zu genießen. Heute morgen ist es völlig konträr: kein Auto weit und breit, kein Verkehr. Unser Programm für heute haben wir umgestellt.
Da in Armenien heute ein Feiertag ist, rechnet unser Busfahrer mit vielen Tagesausflüglern an die Sehenswürdigkeiten, die auch wir besuchen wollen. Daher fahren wir zunächst zur Azat-Schlucht ins Höhlenkloster Geghard, das ca. 1 Autostunde von Yerevan entfernt liegt. Unterwegs gibt es einen Halt an einem Aussichtspunkt, von dem der Ararat gut zu sehen ist. Aber auch heute ist er teilweise in den Wolken, was laut Liana eigentlich der Normalfall ist.
Die Geschichte der Kultstätte an der das Kloster „Ajrivankh“ (= Höhlenkloster) ab dem 4. Jhdt. n.Chr. entstand, geht bis in die vorchristliche Zeit zurück. Die Gründung des berühmten Klosters in den Bergen wird auf den heiligen Gregor zurückgeführt, der Patron der Armenisch Apostolischen Kirche. Er soll das Kloster an einer alten heidnischen Quelle gegründet haben, die sich in unmittelbarer Nähe des Kloster befunden hat. Die heutigen Gebäude stammen aus dem 10. – 13. Jhdt., als die Anlage erweitert und in „Geghard“ umbenannt wurde. Geghard (Geghardavank) bedeutet Lanze/Speer – der Legende nach wurde früher hier eine Lanze des Apostel Thaddäus als wertvolle Reliquie versteckt, mit der Jesus während der Kreuzigung durchbohrt wurde. Die Lanze wird inzwischen im Museum von Ejmiatsin aufbewahrt.
Das Höhlenkloster ist etwas wirklich ganz Besonderes, ein „architektonisches Wunder“, da diverse Räume und Kirchen in den Berg hinein gebaut wurde, kunstvoll aus dem massiven Felsen heraus geschlagen wurden und damit von außen zunächst nicht zu sehen. Und die Bauten wie Felswände wurden mit einzigartigen Schnitz- und Steinmetzarbeiten verziert. Die Anlage ist m.E.zu Recht „Weltkulturerbe“ der Unesco.
Die älteste bekannte Höhlenkirche St. Gregor ist aus dem 7. Jhdt., sie liegt allerdings außerhalb der Klostermauern. Innerhalb besichtigen wir die Hauptkirche aus dem Jahr 1215: die Muttergotteskirche, eine typische Kreuzkuppelkirche mit vier kleinen Eckkapellen. 1225 wurde ihr Gavith angebaut: die Vorhalle, mit 4 mächtigen Pfeilern auf denen die Bögen ruhen. Er übertrifft mit seiner Größe und der reich verzierten Innengestaltung die Hauptkirche noch. Gavithe kommen nur in Armenien vor, sie sind meist quadratisch und wie hier meist größer als die eigentliche Kirche. Die Vorhallen dienen und dienten als Versammlungsraum der Gläubigen wie der Mönche, die hier sehr oft auch bestattet wurden. Eine kleine Öffnung über dem zentralen Quadrat lässt ein wenig Licht herein.
Diese Vorhalle ist auch die Verbindung zur ersten Felsenkirche, in der sich das Wasserbecken („Avazan“) befindet, in dem das Wasser der heiligen und wundertätigen Quelle entspringt bzw. gesammelt wird. Noch heute wird dieses Wasser von zahlreichen Pilgern getrunken. Vor der Muttergotteskirche stehen die schönsten Kreuzsteine der Anlage: ein Meisterwerk des 13. Jahrhunderts ist der große Kreuzstein mit äußerst feingliedrigen Ranken- und Sternornamenten sowie den Darstellungen des thronenden Jesus und des Täufers. Zwei weitere Höhlenkirchen wurden 1263/1283 als Grabstätten für die Herrscherfamilie Proschjan erbaut, deren Gräber in den steinernen Boden des Gavith eingelassen sind. Ihr Wappen ist in den Felsen gehauen: zwei gekettete Löwen und ein Adler mit halb ausgebreiteten Flügeln, der ein Kalb in Klauen hält.
Links neben der Hauptkirche führt eine Steintreppe und ein Gang durch den Fels in eine aus dem Felsen herausgemeißelte Kammer, die eine ganz fantastische Akustik hat, mit einem Nachhall, der auch bei wenigen Stimmen den Eindruck erweckt, als wäre ein ganzer Chor hier. Auf uns wartet hier etwas ganz Besonderes: ein 5-köpfiger Frauenchor, der extra für uns hierher gefahren ist, um uns eine Vorstellung zu geben. Die berührt sofort, ganz tief drinnen, die Seele schwingt mit, die Häärchen auf Armen und Beinen stellen sich auf. Ich muss das nachspüren, nachklingen lassen – verlasse die Kammer fast als Letzte.
Bevor wir weiterfahren fast die ganze Gruppe an den vielen kleinen Ständen rund um den Parkplatz ein: vor allem getrocknetes Obst, Aprikosen, Pflaumen und vieles mehr, das hier in sehr guter Qualität zu einem moderaten Preis zu haben ist. Heute gibt es auch frisches Gebäck, ist doch Feiertag und viele Besucher werden erwartet, denn Geghard ist bis wichtiges kulturelles und geistiges Zentrum Armeniens. Wir sehen es schon: die Autos rollen an, wir sind froh, dass wir Geghard als erstes Etappenziel gewählt haben.
Auch wenn wir auf unserer Reise schon viele beeindruckende Klöster und Kirchen gesehen haben, wird mir Geghard mit seiner Lage und der wirklich einzigartigen Bauweise als etwas ganz Besonderes sicher lange in Erinnerung blieben.