ist der Schlüssel zum Qigong – heißt es. In den Übungseinheiten ist dies oft die erste Herausforderung: in die Ruhe kommen, äußerlich aber vor allem auch innerlich. Oft kommen wir aus einem übervollen, lauten, stressigen Alltag. In dem finden wir nur schwer die nötige Ruhe – eines folgt auf das andere und oft ist alleine die Menge an zu erledigenden Dinge erdrückend. Keine Zeit haben oder zu meinen, dass man sich keine nehmen kann,

nebenbei schnell noch einen „coffee to go“ und alles mit viel Lärm um uns herum – sowohl Körper wie Geist werden voll und oft sogar über Gebühr beansprucht. Für viele ist dies Tag für Tag so – und alle Zeichen, dass wir eine Pause benötigen, drücken wir weg, ignorieren sie so lange es geht: schließlich müssen wir funktionieren, zuhause, im Betrieb, in der Partnerschaft …– einfach immer. Nicht mehr können, eine Pause benötigen, wird manchmal mit mangelnder Leistungsfähigkeit und Schwäche assoziiert – schwierig auch im Berufsleben, auch wenn es dabei nicht nur um die große Karriere gehen muss, sondern um Anerkennung und Wertschätzung oder um das Behalten des Arbeitsplatzes. Dabei wären viele kleine Pausen für uns verträglicher und besser, als zuzuwarten und immer noch mehr oben drauf zu packen, bis dann irgendwann gar nichts mehr geht.
Eine Pause machen – zur Ruhe kommen – äußerlich wie innerlich – das benötigen wir alle. Das heißt noch lange nicht „nichts tun“. Es heißt Methoden und Wege zu finden und zu gehen, die uns helfen, in Ruhe zu kommen, mit uns selbst wieder mehr in Kontakt kommen, in unsere Mitte zurückfinden – wieder mehr zu spüren, was mir gut tut und was nicht. Dann können wir wieder Kraft tanken, uns erden und verwurzeln.

Qigong und Taijiquan helfen uns dabei – sowohl um unseren Körper zu mobilisieren und zu stärken und dabei gleichzeitig Ruhe zu erleben und zu erfahren. Ruhe in den Bewegungen, Ruhe in uns – um dann aus dieser Ruhe heraus wieder Bewegung entstehen lassen zu können. Eins bedingt das andere. Je öfter und regelmäßiger wir üben, desto einfach und schneller kommen wir zur Ruhe.

Natürlich geht das nur über Übung: daher steht am Anfang jeder Übungseinheit das „in die Ruhe eintreten“. Gar nicht so einfach am Anfang für einen Anfänger: direkt aus der lauten, hektischen Welt kommen wir und sollen und wollen doch (möglichst schnell) in die Ruhe. ln jeder Übungseinheit üben wir das – oft mehrfach während der Übungseinheiten. In die Ruhe eintreten geht in Etappen und kleinen Schritten und immer über die Regulation (Beruhigung) von den Körper, Geist und Atmung.
Das Beruhigen des Geistes ist nicht immer einfach – viele Gedanken und Ideen sind ständig da, sie kommen einfach und dieser Gedankenstrom läßt sich nicht immer einfach beruhigen. Der „Geist“ (神shén) steht in der chinesischen Medizin für das Bewußtsein, den Geist, die Gedanken und Gedankenkraft, die Wahrnehmung wie auch für emotionale Zustände und Sinneseindrücke. Der Geist verknüpft Wissen, Emotionen, Erlebtes und Erlerntes und bewertet dies – unsere Lebenserfahrung prägt unsere Lebenseinstellung. Empathie haben, Lieben und (positiv) Leben zu können hängt somit ganz wesentlich von unserem Geist ab. Hegen und pflegen sollten wir ihn daher. Dann strahlt der ganze Mensch, wir haben „Ausstrahlung“, klare, leuchtende Augen – unsere Ausstrahlung wirkt dann meist unmittelbar auf unsere gesamte Umgebung – Lebensfreude pur, geistig hellwach, klar, aufnahmebereit, mitfühlend und offen – und gleichzeitig ruhig – wirken wir.
Der Geist wir dem Herzen zugeordnet – den Geist beruhigen heißt, unser Herz beruhigen. Unser Herz hegen und pflegen ist ein zentraler Teil der Übungspraxis. Um den Geist und das Herz zu beruhigen sind die Einstiegsübungen am Anfang der Kurseinheiten ganz besonders wichtig, damit wir „in die Ruhe eintreten“ können. Manchmal ist zuvor ein Springen, Schütteln, auspowern hilfreich, um die letzte Spannung des Tages loslassen zu können. Manchmal gehen wir auch gleich in die Stille und Ruhe – jede Gruppe, jeder Teilnehmer, jede Übungseinheit ist ein bisschen anders – ganz wichtig ist daher für mich, die Stimmung des Tages zu erkennen und aufnehmen zu können, um situativ zu entscheiden, was gerade am besten paßt, um alle Teilnehmer ganz im Kurs, im Hier und Jetzt, ankommen zu lassen. Alle Gedanken an den Alltag hinter sich lassen zu können, ganz da sein, in einer lockeren, gelösten aber vor allem ruhigen Grundstimmung dann üben zu können – das ist wichtig. Das „Herz beruhigen“ eben: Alle noch vorhandenen und aufkommenden Gedanken, die vom Hier und Jetzt ablenken, ziehen zu lassen ebenso wie Wut, Ärger, Frust und andere emotionale Zustände hinter sich zu lassen. Dann kann sich tiefe innere Ruhe einstellen, wir entspannen körperlich wie geistig, regenieren, erholen uns. Die äußeren Bewegungen passen sich an, werden ebenfalls ruhig und können sehr achtsam ausgeführt werden. Die Verbindung der Atmung mit der Aufmerksamkeit/Vorstellungskraft und Bewegung tut ein Übriges dazu. Und damit die Übungen ihre volle Wirkung entfalten können, steht auch am Ende der Übungen immer ein stiller Teil-
In den chinesischen Bewegungskünsten wird der „Ruhe des Herzens“ eine große Bedeutung zugesprochen. Auch Meister Yang Jian Chao betont dies immer wieder: „….. als erstes beruhige Dein Herz…..“ – jeden Tag, jede Übungseinheit in China haben wir damit begonnen. Und in meiner Qigong-Ausbildung widmen wir uns diesem Thema auch sehr intensiv: mit den Meditationsformeln des Neidan Gong soll das Herz gereinigt werden. In den stillen Qigong-Übungen am letzten Wochenende in Heiligkreuztal haben wir auch damit einen Fokus auf das Beruhigen und Klären des Herzens gelegt. Die ersten drei Formeln lauten:
1. Will ich mein Qi üben, so muss ich zuerst mein Herz klären. 要行气先清心 (yào xíng qì xiān qīng xīn)
2. Will ich mein Herz klären, so muss ich es zuerst beruhigen. 要清心心先静 (yào qīngxīn xīn xiān jìng)
3. Die Ruhe (des Herzens) gleicht einem großen Gebirge, die Klarheit der des Wassers. 静如岳清如水 (jìng rú yuè qīng rú shuǐ)
Viel geübt haben wir und bei mir hat sich eine tiefe Entspannung entfalten können – so war das verlängerte Wochenende zwar anstrengend aber auch sehr erholsam. Das Herz klären und beruhigen bleibt weiterhin eine große Aufgabe – und ich muss noch viele Schritte tun…. Aber je öfter ich übe, desto einfacher und schneller gelingt es mir, in die Ruhe zu gelangen – das wünsche ich auch Euch allen.